Unsere 3-wöchige Sibirienreise vom 19.7.-9.8.2019
Wir sind in
Salechard
gestartet und nach 2920 km Flusskreuzfahrt
auf dem Ob wohlauf in Nowosibirsk angekommen.
Die
MS Remix (50 Passagiere, 30
Mann/Frau Besatzung) fährt als einziges Schiff diese Strecke im Sommer 3 Mal
Hin- und zurück. Das Navigieren erfordert von der Crew grosse Vorsicht da der Ob
nicht tief ist und es viele Sandbänke gibt. Auch wir wurden einmal nachts
aufgeschreckt als unser Schiff gegen eine Sandbank fuhr. Das Personal war sehr
freundlich und hilfsbereit. Die Bedienung im Restaurant: junge Studenten die
sich in den Semesterferien etwas dazu verdienten.
Wir haben zu Beginn unserer Reise viel über die Urbevölkerung dieser Tundra und
Taiga erfahren. Die Chanten und Manten verdienten sich ihren Lebensunterhalt mit
Rentierhaltung, Fischfang und Pelzhandel. Heute ist davon nichts mehr zu sehen.
Dank der Förderung grosser Erdöl- und Gasvorkommen und den damit kreirten Jobs
ist diese unwirtliche Gegend zur Heimat vieler Einwanderer (z.T. aus 110
verschieden Nationen) geworden. Insbesondere die Kälte im 8-monatigen Winter
(bis -50) sowie die Mückenplage im Sommer machen den Leuten zu schaffen. Die
Baufirmen versuchen mit bunter Bemalung der Häuser etwas Farbe in das ewige Grau
des Winters zu bringen. Die Urvölker trugen zum selben Zweck farbige Trachten.
Es gibt bis Chanty-Mansijsk kein durchgehendes Strassennetz. Nur im Winter können die zugefrohrenen Flüsse als Strassen benutzt werden. Im Sommer braucht man das Wasserflugzeug. Internetverbindung ist nur in der Nähe von grösseren Ortschaften möglich. Daher waren wir auf unserer Reise auch oft ohne Netzzugang.
Oft sieht man
Denkmäler für die seit dem 17. Jd. praktizierte Verbannung von Regimegegnern,
Politikern, Priestern und Kriegsgefangenen. Sogar der junge Stalin war in
Narym
in Haft. Viele Kirchen und Moscheen wurden während der Sowjetzeit abgerissen
oder umgenutzt. Die meisten Gotteshäuser sind inzwischen aber wieder aufgebaut
und alle Religionen sind erlaubt.
Gut gefallen hat uns die historische Stadt
Tomsk, welche an der ehemaligen
Seidenstrasse liegt und damals das grösste Handelszentrum von Sibirien war.
Heute ist es eine Universitätsstadt mit 80000 Studenten.
2. Teil unserer Reise von Nowosibirsk nach Bijsk und Tursib
per Auto (600 km)
Sibirien ist nicht nur eine unwirtliche sondern im Süden auch eine sehr fruchtbare und warme Region. Diesen Eindruck gewannen wir bei Temperaturen von über 30 Grad auf unserer Fahrt von Nowosibirsk über Barnaul nach Bijsk. Auf der ganzen Strecke (350 km) sahen wir riesige Getreide- (Hirse, Buchweizen, Mais) und Sonnenblumenfelder.
Wir machten eine
zusätzliche Woche Ferien in der Altai-Region um die mit mir verwandten Familien
kennenzulernen. Erst seit 2 Jahren weiss ich, dass ein zur Zwangsarbeit nach
Sibirien verbannter Onkel später
im kleinen
Dorf Selo Lebedino, 500 km von Nowosibirsk entfernt, eine Familie gründete die
bis vor kurzem nichts von ihren
schweizer Wurzeln wusste.
Ein Cousin von mir lebt noch
in Bijsk. Seine Kinder (Wanja + Alena heute +40) konnten, als gute Schüler, in Nowosibirsk eine Ausbildung
machen. Mit ihnen genossen wir ein paar Tage in einer Feriensiedlung in Tursib
am Katun-Fluss sowie in deren Datscha in der Nähe von Bijsk. Wir hatten Zeit um
über das Schicksal ihres Grossvaters, das Leben und die weltweite Politik zu
sprechen.
Russland könnte
wirtschaftlich zu den besten Nationen gehören - es hat gut ausgebildete,
strebsame Leute - wenn nicht so verkrustete Strukturen bestünden. Die Bürokratie ist gewaltig. Meine CH-ID genügte nicht für das
Einchecken in Tursib - ich brauchte unbedingt noch den Pass + Visum +
Einreisegenehmigung. Das gleiche Prozedere als ich eine SIM-Karte kaufte.
Es scheint der Bevölkerung in der alten Sowjetunion besser gegangen zu
sein. Insbesondere die armen Leute (ca. 60 %) leiden seit der Krim-Annexion
unter dem Zerfall des Rubels.
Die bisher an der Macht gewesenen Präsidenten bekommen mehrheitlich schlechte
Noten. Was Putin auszeichnen soĺl: er hätte etwas Stabilität ins Land gebracht.
Vor seiner Zeit hatten die Oligarchen sich masslos bereichert und es herschten
Wildwest-Methoden: Konkurrenten liquidierten sich gegenseitig.
Die früher in jedem Ort an zentraler Stelle stehenden Stalin- und
Lenin-Denkmäler werden langsam abgebaut. Es gibt aber weiterhin Leute die Stalin
verehren.
Schlussbericht
Auf unserer Reise lernten wir verschiedene
Seiten des heutigen Russlands kennen. In den ländlichen Gegenden gefiel es uns
jedoch am besten.
Manche Sibirier deren Vorfahren in einer Kolchose arbeiteten besitzen dort noch
ein Stück Agrarland das ihnen nach deren Auflösung geschenkt wurde. Es wird
jetzt meist fremdbewirtschaftet und ist nicht sehr rentabel.
Der Reichtum ist in diesem Land sehr unterschiedlich verteilt. Vor allem in
Regionen wo mit der Förderung von Rohstoffen oder der Militär-Industrie Geld
verdient wird ist die Infrastruktur gut. Dazu gehören auch touristisch gut
besuchte Städte wie Moskau oder St. Petersburg.
Auf dem Land sind die Strassen und die aus der Sowjetzeit stammenden Hochhäuser
(oft ohne Lift) z.T. in schlechtem Zustand.
Da an vielen Orten frühere Fabriken still gelegt wurden (ev. ist Import aus
China billiger) ist die Arbeitslosenquote hoch. Der durchschnittliche Monatslohn
beträgt ca. Fr. 500 - 600.-- und die Altersrente ist tief. Viele Leute können
sich darum keine guten medizinischen Behandlungen leisten. Oft müssen die
eigenen Kinder ihre Eltern im Alter unterstützen. Wer zu den Priviligierten
gehört kann sich eine Datscha mit grossem Garten leisten. Dort werden dann nebst
Kartoffeln, Gemüse, Obst noch vieles andere angebaut und für die Ueberwinterung
eingelagert oder eingemacht.
Da es in
ländlichen Gebieten meistens keine Verdienstmöglichkeiten gibt gehen junge
Männer oft zum Militär. Nach 25-jährigem Dienst bekommen sie eine lebenslange,
kleine Rente die aber einen Zuzsatzverdienst erfordert.
In der historischen Stadt Tomsk, wo es noch schön verzierte Holzhäuser gibt,
erhalten reiche Leute für symbolisch 1 Rubel ein Haus, unter der Bedingung, dass
sie dieses dann für viel Geld renovieren lassen.
In Moskau merkt man die seit dem Boykott des Westens in die Wege geleitete
Annäherung an China. Die Asiaten sind überall präsent und auf dem Flughafen wird
auch alles auf chinesisch zusätzlich zu russisch und englisch angezeigt.
Uebermässiger Alkoholkonsum und Verkehrsunfälle sind in Russland ein grosses
Problem. Deshalb müssen sich die Automobilisten an 0 Promille
halten. Eine Auswirkung hat es sicher auch auf die durchschnittliche
Lebenserwartung: Männer ca. 62 und Frauen 70 Jahre.
Während unserer Reise sind wir kaum auf ausländischen Touristen gestossen.
In der Altai-Gegend ist alles (inkl. Menu im Restaurant) nur auf russisch
angeschrieben. Die Leute sprechen auch keine Fremdsprachen. Dank
Google-Translate konnten wir uns aber verständigen.
In sehr guter Erinnerung wird uns die grosse Freude und Gastfreundschaft meiner
Verwandten bleiben. Wir haben sie zu einem Gegenbesuch in die Schweiz
eingeladen.
Dank ihnen und auch dem Personal und Reiseführung auf der MS Remix konnten wir
einen kleinen Einblick in die
"russische Seele" bekommen !